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Schritt zurück: Stigmatisierung statt Schutz

roter Regenschirm
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Die Anmeldepflicht ist problematisch. Sie führt zu einem Zwangsouting und zur Erpressbarkeit von Sexarbeiter_innen

Der Entwurf des Prostitutionsschutz-Gesetzes von Bundesministerin Manuela Schwesig (SPD) wurde vom Kabinett verabschiedet. Ab 2017 wird Sexarbeit stärker reguliert. Ein Kommentar.

2002 hatte das rot-grüne Prostitutionsgesetz Sexarbeit in Deutschland aus der Sittenwidrigkeit geholt. Das war ein wichtiger Schritt nach vorn. Denn indem Sexarbeit als sittenwidrige und sozialwidrige Tätigkeit galt, schränkte es Rechte von Frauen* ein: „Ein Einklagen des Entgelts – hätte die Sexarbeiterin das denn tun wollen – war damit unmöglich“, analysierte die Juristin Maria Wersig 2014 im GWI-Blog die rechtliche Entwicklung

Doch der Schritt aus der Sittenwidrigkeit stärkte nicht nur Sexarbeiter_innen, sondern begünstigte auch den Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Rechtliche Nachbesserungen sollten Rechte von Sexarbeiter_innen weiter stärken und Menschenhandel verhindern helfen. Doch ob das geplante Prostitutionsschutz-Gesetz diesem Ziel näher kommt oder womöglich sogar kontraproduktiv ist, war in der Vergangenheit Gegenstand vieler Debatten. Angesichts der aktuellen Verabschiedung des Entwurfs sei hier an zentrale Argumente erinnert.

Feminist_innen wissen, wenn vom „Schutz von Frauen“ die Rede ist, schauen sie besser nochmal genauer hin, wer da spricht. "Mein Körper gehört mir!" ist auch deshalb eine feministische Kernforderung, weil Frauen* immer wieder erfahren: Wenn es um die Körper von Frauen* geht, reden viele mit. Das gilt für Sexarbeit genauso wie fürs Abtreibungsrecht. Im Kontext der Debatten um ein neues Gesetz zum Schutz von Sexarbeiter_innen meinte Nora Fritzsche: „Es ist ein Schutzanspruch, der Frauen zu Opfern macht“. Sie empfahl stattdessen einige einfache Fragen: „Wollen die, um deren Schutz es geht, das überhaupt? Welche Regulierung wird gebraucht? Wo sind Korrekturen nötig? Auf alle gibt es eine einfache Antwort: Zuhören“.

Das neue Gesetz sieht vor, dass sich Sexarbeiter_innen unter 21 Jahren zweimal im Jahr gesundheitlich beraten lassen müssen. Außerdem sollen sie ihre Tätigkeit einmal pro Jahr anmelden. Sexarbeiter_innen über 21 Jahre müssen sich jährlich beraten lassen und alle zwei Jahre neu registrieren. Zu solchen Anmeldepflichten und verpflichtenden Gesundheitsberatungen hatte sich das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter e.V. klar geäußert: „Wie kann Vertraulichkeit aufgebaut werden, wenn die Gesundheitsberatung verpflichtend und in der Konsequenz namentlich durchgeführt werden soll, mit dem Ziel, damit eine Anmeldebestätigung zu bekommen?“ (vgl. http://www.bufas.net/DOKUMENTE/StellungnahmeEckpunkteProstG.pdf). Dass die Begriffe Pflicht (sprich: Zwang) und Vertraulichkeit im Rahmen von Gesundheitsprävention nicht zusammenpassen, ist eine Binsenweisheit: „Der Gedanke, durch verpflichtende Untersuchungen könnten Opfer von Gewalt und Menschenhandel 'erreicht' werden, lehnen gerade Fachleute in den Gesundheitsämtern und Beratungsstellen als realitätsfern ab. Die Beschränkung einer solchen Pflicht auf eine bestimmte Gruppe, wie hier die Prostituierten, ist außerdem "verfassungsrechtlich prekär", meinte Maria Wersig. Hinzu kommt: Wer sich gegen Stigmatisierung wehren muss, hat weniger Energie, um sich um die eigene Gesundheit zu sorgen.

Auch die Anmeldepflicht ist problematisch. Sie führt zu einem Zwangsouting und zur Erpressbarkeit von Sexarbeiter_innen. Undine DeRiviere, Sprecherin des Berufsverbands erotischer und sexueller Dienstleistungen, warnte vor kurzem im Deutschlandfunk: „ Die Meldepflicht wird einen Großteil der Branche in die Illegalität treiben. Damit sind wir außerhalb des Rechtssystems. Das heißt, Kolleginnen, die sich nicht anmelden, aus gutem Grund nicht anmelden, weil sie ein Outing fürchten, werden dann auch weniger gewillt sein, Übergriffe anzuzeigen beispielsweise.“

Mit Blick auf die nun beschlossenen Anmelde- und Beratungspflichten, muss leider festgestellt werden: Stimmen der Sexarbeiter_innen, um deren Schutz es doch eigentlich gehen sollte, wurden nicht gehört.